Das Grundgesetz betont, dass die Bürger die höchste Autorität im Staat sind. Dennoch gibt es Stimmen, die das Volk als potenzielle Bedrohung sehen: es sei zu leichtgläubig, manipulierbar und anfällig für populistische Strömungen. Diese elitistische Sichtweise ist jedoch der wahre Feind der Demokratie.
Vor zwei Wochen besuchte ich die Demo unter dem Motto Demokratie braucht Dich in München. Ich war nicht dort, um aktiv mitzuwirken, sondern um zu beobachten. Der Aufstand der Anständigen zog meine Neugier an. Über Plakate las ich Slogans wie Menschenrechte statt rechte Menschen und AfD-Wähler gefährden die Demokratie. Auch Forderungen nach einem Verbot der AfD fanden sich dort, wobei nicht nur diese Partei, sondern auch die Union und die FDP scharf kritisiert wurden.
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Nach kurzer Zeit zog ich mich zurück. Es war bemerkenswert, wie die selbsternannten Verteidiger der Demokratie mit Verachtung auf ihre Mitbürger blickten.
Es ist mir unverständlich, dass in bestimmten Kreisen heute die kritische Auseinandersetzung mit der Regierung in den Hintergrund gedrängt wird, während das Wahlverhalten der Bürger angeprangert wird. Der Aufruf, eine bedeutende Oppositionspartei zu verbannen, geschieht unter dem Vorwand, die Demokratie müsse sich selbst schützen.
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Diese Arroganz ist kaum erträglich und zeigt ein stark elitäres Verständnis von Demokratie. Solche Ansichten sind mittlerweile nicht nur auf Demos zu finden, sondern auch bei Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten. Meine Hypothese lautet: Vielleicht sind wir einfach zu gebildet.
In den Augen dieser Menschen ist das Volk nicht mehr der Souverän, sondern ein Problem. Es wird als eine Gruppe von Leichtgläubigen betrachtet, die von Populisten und Falschinformationen beeinflusst werden. Ihr Bewusstseinsstand wird als nicht ausreichend erachtet, um die politische Landschaft angemessen zu verstehen. Kurz gesagt, sie gelten als demokratieuntauglich.
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Man selbst, als erleuchteter Demokrat, glaubt, immun gegen naive Lösungen zu sein. Man ist medienkompetent, demokratisch gebildet und denkt, dass man die richtigen Fragen stellen kann. Diese Überlegenheit wird immer wieder durch Studien bestätigt, wie eine Analyse der Universität Leipzig zeigt, die feststellt, dass AfD-Wähler oft untergebildet sind. Ist es da verwunderlich, dass der Begriff Demokratiebildung so populär geworden ist, als könne man mit mehr Aufklärung die AfD einfach verschwinden lassen?
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Die Überzeugung, dass die Demokratie vor dem Wähler geschützt werden muss, ist in den letzten Jahren gewachsen, speziell mit dem Aufstieg der AfD. Diesen Denkansatz kannte ich bisher nur von Volksabstimmungen.
In der Schule lernte ich, dass es auf Bundesebene aus gutem Grund keine Volksabstimmungen gibt. Bürger handeln oft irrational, geleitet von Emotionen und propagandistischen Einflüssen. Daher können politische Entscheidungen manchmal riskant sein. Wenn das Volk direkt regiert, könnte dies zu unmoralischen Entscheidungen führen.
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Früher hielt ich diese Argumentation für schlüssig. Heute erkenne ich, dass dies nicht ganz zutreffen kann. Schließlich gelten die Grundsätze unseres Rechtsstaates auch für solche Abstimmungen.
Und jetzt? Jetzt scheinen manche Stimmen sogar Wahlen als gefährlich für die Demokratie zu betrachten. Das ist ein innerer Widerspruch. Wer dem Volk die Fähigkeit zur Entscheidungsfindung abspricht, sollte sich selbst fragen, ob er die Prinzipien der Demokratie wirklich versteht.
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Er erklärte, dass Deutschland seine Bürger missachtet und betonte: An die Demokratie zu glauben bedeutet, zu verstehen, dass jeder Bürger Weisheit hat und eine Stimme zählt. Es gibt keinen Platz für Mauern, denn diese bedeuten lediglich, Teile des Wählerwillens für ungültig zu erklären. Er wandte sich an die versammelte Elite und sagte: Wenn Sie Angst vor Ihren eigenen Wählern haben, kann Amerika Ihnen nicht helfen.
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Wer Vance nicht zuhören möchte, sollte vielleicht auf die Botschaft des britischen Philosophen John Stuart Mill hören. Er hebt hervor, wie wichtig es ist, sich ständig zu hinterfragen, ob nicht auch andere Recht haben könnten.
Mill sagt: Eine Meinung nicht zu hören, nur weil man überzeugt ist, dass sie falsch ist, bedeutet, die eigene Überzeugung mit absoluter Wahrheit gleichzusetzen. Jede Unterdrückung von Diskussionen beruht auf der Annahme, man sei unfehlbar. Doch niemand ist unfehlbar, und das gilt für Einzelpersonen, Gruppen, Gesellschaften und Epochen.
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Selbst für diejenigen, die meinen, sie seien die Klügeren, Moralischeren oder Demokratiefähigeren. Wahre Meinungsfreiheit und damit echte Demokratie, so Mill, erfordert kontinuierliche Selbstkritik und den respektvollen Umgang miteinander.
Ich bin mir jedoch sicher, dass wir nach der Bundestagswahl die üblichen respektlosen Klagen hören werden. Dass einige Menschen einfache Lösungen suchen, dass sie mit einer komplexen Welt nicht umgehen können, und dass die Demokratie angeblich schwach ist, weil die falschen Parteien zu stark sind.
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Das eigentliche Problem liegt jedoch nicht bei den Wählern und ihrer vermeintlichen intellektuellen Einschränkung. Wer so elitär denkt, könnte ebenso gut fordern, das Wahlrecht einzuschränken, es an den IQ oder den Bildungsabschluss zu koppeln. Dann hätten wir klare Beweise dafür, wo die Demokratiefeindlichkeit in diesem Land noch immer schlummert.
Julia Ruhs ist Journalistin und arbeitet hauptsächlich für den Bayerischen Rundfunk. Sie gehört jener Generation an, die sich inmitten von Klimaaktivisten, Gender-Themen und aktuellen Trends bewegt. Ihr Ziel ist es, denjenigen eine Stimme zu geben, die sich in diesem Diskurs nicht wiederfinden und oftmals allein mit ihren Meinungen dastehen. Wenn alle anscheinend dasselbe denken, empfindet sie Unbehagen.