In Deutschland erreichen die Krankmeldungen Rekordhöhen. Oliver Bäte, Chef der Allianz, schlägt vor, die Lohnfortzahlung ab dem ersten Tag der Krankheit zu streichen, während andere Unternehmen Anreize für eine hohe Anwesenheit schaffen. Doch wie effektiv sind solche Maßnahmen tatsächlich? FOCUS online hat die Antworten.
Die Krankheitsausfälle in Deutschland waren 2023 so hoch wie nie zuvor. Laut dem Statistischen Bundesamt waren die Beschäftigten im Durchschnitt 15,1 Tage krankgeschrieben. Im Vergleich dazu betrug der Tiefpunkt im Jahr 2007 nur 8 Tage. Die DAK-Gesundheit berichtet von einem noch höheren Durchschnitt: Über die Hälfte der Versicherten der DAK hat im vergangenen Jahr mindestens einmal eine Krankschreibung erhalten, mit einer durchschnittlichen Zahl von 20 Fehltagen pro Person.
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Die wirtschaftlichen Folgen sind beträchtlich: Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin schätzt, dass die Produktionsausfälle 2023 auf rund 128 Milliarden Euro beziffert werden.
Vor diesem Hintergrund sorgte Allianz-Chef Oliver Bäte für Aufregung. Er regte an, die Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag zu streichen. FDP-Chef Christian Lindner sprach sich hingegen für Belohnungssysteme wie Anwesenheitsprämien aus. Aber sind solche Anreize wirklich von Nutzen? FOCUS online gibt Beispiele und beleuchtet die Komplexität der Umsetzung.
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Die Hamburger Hochbahn hat seit über zwei Jahrzehnten eine Prämie für geringe Fehlzeiten eingeführt, die bis zu 615,62 Euro pro Halbjahr betragen kann. Diese Regelung ist tariflich festgelegt. Ab dem dritten Krankheitstag werden Abzüge vorgenommen, und ab dem 17. Tag entfällt die Prämie ganz. Das Unternehmen betrachtet dieses Modell als erfolgreich, auch wenn die Krankenquote nach der Corona-Pandemie gestiegen ist, berichtet das Manager Magazin.
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Auch die Kieler Verkehrsgesellschaft KVG bietet bis zu 1000 Euro Prämie im Jahr an. Wer in drei Monaten keinen einzigen Krankheitstag hat, erhält die volle Prämie. Bei bis zu zwei Fehltagen gibt es 200 Euro, und bei drei oder vier Tagen 125 Euro. Wer länger ausfällt, geht leer aus.
In Köln wird ein Bonus an die guten wirtschaftlichen Ergebnisse gekoppelt. Wer überdurchschnittlich häufig zur Arbeit erscheint, kann zusätzliche Vorteile genießen.
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Der Autozulieferer BIA aus Solingen kämpfte mit einer hohen Ausfallquote von neun Prozent in der Produktion. Seit Juli 2023 bietet das Unternehmen nun eine Anwesenheitsprämie, die den Mitarbeitern bis zu zehn Prozent mehr Lohn einbringt, so die Wirtschaftswoche.
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Die Fehlzeitenquote fiel daraufhin um drei Prozentpunkte. Trotz monatlicher Kosten von 80.000 Euro erweist sich das System für Jörg Püttbach, Gründer und CEO der BIA Group, als rentabel.
Bis 2019 setzte auch Daimler auf ein ähnliches System, hat jedoch diesen Ansatz aufgegeben und konzentriert sich nun auf Gesundheitsförderung wie Impfungen und Coachings. Mercedes-Benz-Chef Ola Källenius äußerte in einem Interview, dass die hohe Anzahl an Krankentagen in Deutschland einen Wettbewerbsnachteil für den Wirtschaftsstandort darstellt.
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Berichte über das umstrittene Vorgehen von Tesla in seiner Gigafactory in Grünheide bei Berlin sorgen für Aufsehen. Das Unternehmen, das mit hohen Krankenständen zu kämpfen hat, sieht sich wegen unangekündigter Hausbesuche bei krankgeschriebenen Mitarbeitern in der Kritik.
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Werkleiter Andre Thierig berichtet, dass in diesem Jahr etwa 200 Mitarbeiter durchgehend krankgeschrieben waren. In Spitzenzeiten lag der Krankenstand im Werk bei bis zu 15 Prozent, was erhebliche Auswirkungen auf die Effizienz und die Lieferzeiten hat.
Das Unternehmen setzt zudem auf strenge Personal- und Leistungsüberprüfungen zur Senkung des Krankenstands. Tesla erwartet von seinen Angestellten hohe Flexibilität und Einsatzbereitschaft, was in einer Produktionsumgebung wie der Gigafactory zu einer enormen Belastung führen kann.
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Kritiker, darunter die Gewerkschaft IG Metall, sehen die Ursachen für die hohen Fehlzeiten weniger im Verhalten der Arbeitnehmer, sondern mehr in den Arbeitsbedingungen im Werk.
Im Pflegebereich fehlen die Mitarbeiter im Durchschnitt 22,4 Tage pro Jahr. Kliniken wie die Hamburger Asklepios-Gruppe haben 2024 die Einführung von Anwesenheitsprämien diskutiert.
Gewerkschaften wie Verdi lehnen solche Modelle entschieden ab. Verdi betont, dass Asklepios von den Beschäftigten langfristig massive Reallohnverluste fordert und gleichzeitig Mitarbeiter bestraft, die krank werden. Dieses Angebot des Arbeitgebers ist aus Sicht der Gewerkschaften völlig überholt.
Solche Prämien könnten die Beschäftigten unter Druck setzen, trotz Krankheit zur Arbeit zu erscheinen, was sowohl für die Patienten als auch für die Mitarbeiter hohe Risiken mit sich bringen kann.